Das neue Opium.

Zur Zeit stecke ich mitten im Abiturstress. Die nächsten Wochen werden wahrscheinlich fast ausschließlich mit Lernen, Üben und Zittern bestehen. Meine Geschichtsprüfung habe ich am Montag schon geschafft; vier weitere stehen mir in nächster Zeit noch bevor. Ganz schön aufregend und ich freue mich, ehrlich gesagt, schon auf den Moment, in dem ich dann mein finales Ergebnis bekomme.

In der Zwischenzeit möchte ich den Blog aber natürlich nicht schon wieder erstarren lassen. Beim Durchstöbern meiner Festplatten, um mein Portfolio für meine Studienbewerbung zusammenzustellen, ist mir ein Text wieder aufgefallen, den ich vor einigen Wochen für den Ethikunterricht geschrieben habe. Etwas philosophisch, aber das muss eben auch mal sein.

Gerade in der Pandemiezeit sind wir wahrscheinlich noch viel mehr in Social Media vertieft, als es uns eigentlich gut tut. Das Thema habe ich zwar schon immer etwas kritisch gesehen und diskutiert, aber gerade jetzt komme ich wieder genau darauf zurück. Und genau darum dreht sich mein Text, der damals als Rede zum Thema Religion konzipiert war. Hm, Religion?

Naja, jetzt will ich aber noch nicht zu viel verraten. Vielleicht lest ihr einfach mal selbst:

Das neue Opium.

Generation Z!

Grüße! – aus dem Zeitalter der Uniformität, aus dem Zeitalter der Einsamkeit, aus dem Zeitalter des Großen Bruders, aus dem Zeitalter des Doppeldenk – Grüße!“

Das ist nicht etwa ein zeitgenössischer Spruch aus dem 21. Jahrhundert, ganz im Gegenteil: Dies ist ein Zitat vom britischen Schriftsteller George Orwell aus seinem 1949 erschienenen Roman „1984“ und prognostiziert auf schon fast beängstigende Art und Weise dystopische Zustände der damaligen Zukunft und heutigen Gegenwart. Und was genau das jetzt mit einem „neuen Opium“ zu tun hat, wird hoffentlich in meinen folgenden Ausführungen deutlich.

Nun aber von vorne: Das Opium des Volkes ist womöglich schon vielen ein Begriff: So bezeichnete Karl Marx die Religion in einer 1844 veröffentlichten Schrift und übt damit heftige Kritik. Die Kirche und der Glaube daran als Droge der Menschen, eine gewagte Äußerung, die aber, in atheistischer, kritischer Denkweise, nachvollziehbar scheint. Diese Zweischneidigkeit, jene Differenz zwischen positiven und negativen Konsequenzen, lässt sich in Drogenkonsum, aber genauso in der Religion wiederfinden: Die Menschen finden Hoffnung und Sinn in ihrem Glauben an Gott, verlieren dabei jedoch schnell den Überblick über die negative Abhängigkeit von der Kirche, die daraus oft resultiert. Eben genau wie bei einer Droge: Sie verschafft Glücksgefühle in einem Moment und im nächsten sieht man seine Gesundheit weitläufig geschädigt.

Ich möchte jetzt aber gar nicht über die Religion reden, wie wir sie kennen gelernt haben. Meine Aufmerksamkeit schenke ich heute einer Art neuartigen Ersatzreligion, auch wenn sie viele als solche gar nicht erkennen würden. Starten wir mit einem Einblick in den Alltag eines Anhängers dieser besonderen Religion.

Anna wacht auf, neben ihr das heilige Werk ihrer Religion, der sie seit etwa 2011 angehört. Ein Griff und es liegt in ihrer Hand für die morgendlichen Rituale. Sie liest und blättert und wischt sich durch. Es wird nicht gebetet, höchstens mal eine kleine Predigt geschrieben, an die anderen Gläubigen. Oder auch an die Priester. 

Ach genau, die Priester. Zum Schluss muss schließlich in Erfahrung gebracht werden, was die Priester zu sagen haben; vielleicht auch, was ihre Mottos und Sprüche des Tages sind, damit Anna sich davon inspirieren lassen kann. Was haben die Priester in der letzten Zeit so gemacht? Welche Gewänder sind gerade unter den Aposteln dieser Religion angesagt?

Fragen, die sich in den Köpfen der Gläubigen umherdrehen und nach denen es zu leben heißt. Jeden Tag. 24/7.

Ein Leben ohne das eben genannte heilige Werk, ohne das alltägliche Umherklicken, predigen und Priesterleben stalken, wäre es für die Anhänger dieser Religion wohl kaum möglich, einen Sinn in ihren kleinen, normalen Leben zu finden.

Kam euch das etwas komisch vor? Habt ihr etwas bemerkt?

Ganz richtig, hier geht es um ein ganz besonderes Phänomen der heutigen Zeit, nie anerkannt als eine Art Ersatzreligion, dennoch voll von Parallelen zur religiösen Welt: Social Media. Der Fanatismus der Neuzeit. Das neue Opium des Volkes.

Parallelen zur Religion, mögt ihr euch grad fragen. Was genau meine ich damit?

Ich möchte euch einladen, mit mir zurück zu reisen, in eine Zeit, in der die Gesellschaft geprägt war von strenger Religion. Das Mittelalter.

Der Alltag der Menschen war geprägt vom Christentum, Tag ein, Tag aus folgten sie den Anforderungen ihres Glaubens. Sie waren abhängig von der Kirche, sie waren nichtige Einzelteile einer einzigen farblosen Masse. Die Obersten der Kirche besaßen die Macht, ließen die Masse umhertanzen, wie Marionetten an seidenen Fäden. Was Gott sagte, war Gesetz, aber ob es wirklich Gott war, der die Worte sprach und schrieb oder ob es vielleicht doch nur einer der machthabenden Kirchenvorsitzenden war, wurde nicht hinterfragt und war auch nicht interessant.

Denn bei all diesen tückischen Aspekten der Religion, war den Menschen nur eines wichtig und bewusst: Der Glaube gab ihnen Hoffnung, Sinn und Mut, Selbstvertrauen. Alles andere war egal. Das positive überspielte das Negative und die Leute taten weiter, was die Kirche von ihnen verlangte.

Transferieren wir dies nun auf heutige Zeiten, jedoch nicht auf Religion im allgemeinen Begriff, sondern auf die „Ersatzreligion“ Social Media, entdeckt man die Parallelen: Menschen finden Trost und Hoffnung in ihrer Social Media – Aktivität, finden Inspiration und können mit der ganzen Welt kommunizieren. All das überlagert die psychologischen Schwierigkeiten und datenschutzrechtlichen Probleme der digitalen Welt. Daher bekommen Facebook, Instagram und Co. immer wieder und dauerhaft eine Plattform von uns Menschen und Firmen wie diese erobern die Spitze unseres Weltmarktes. 

Dabei merken wir gar nicht mehr, wie wir in ein Zeitalter der Manipulation gerutscht sind. Facebook benutzt psychologische Methoden, um die Konsumenten zu manipulieren und am Bildschirm festzuhalten. Wir merken es doch jeden Tag selber: Die Zeit fließt dahin und wir starren weiter auf unsere Smartphones, scrollen durch unseren Feed und haben irgendwie das Gefühl, dass man nicht aufhören kann; man könnte ja etwas verpassen. Das ist nicht etwa Zufall, das sind wohl durchdachte Strategien, die unsere Psyche manipulieren.

In der erst kürzlich erschienenen Netflix-Dokumentation „The social dilemma“ oder „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ wird genau das detailliert beleuchtet. Aussteiger aus Firmen wie Google, Facebook und Twitter erzählen von der Geldgier, Unmoral und erschreckenden Skrupellosigkeit der Autoritäten und zeichnen ein dunkles Bild unserer heutigen digitalen Welt. Generation Z wird als „Generation der Manipulierten“ bezeichnet und man beginnt, nachzudenken. Wieso tun wir uns das an? Wieso lassen wir die oberen Mächte der Digitalisierung uns herumschubsen, unsere Daten verkaufen und uns kontrollieren? Wieso hören wir nicht einfach auf?

Weil wir es nicht können. Wir sind manipuliert genug, dass wir uns vollkommen abhängig geworden sind, von Social Media und der digitalisierten Welt. Wir brauchen das. Genauso wie Religiöse ihren Gottesglauben brauchen.

Würde man, wenn man es könnte, einem Gläubigen seine Religion wegnehmen, den Glauben an eine höhere Macht, nach dem er sich jeden Tag seines Lebens richtet, so würde für diesen Menschen eine Welt zusammenbrechen. Der Sinn würde für ihn verschwinden, er fragt sich, ob ein Leben ohne Gott überhaupt lebenswert und sinnvoll ist. Nein. Für ihn wäre das ein klares, deutliches Nein.

Genauso geht es uns, besonders der Generation Z. Stellt euch vor, es würde kein Social Media mehr geben, wo wir uns hinflüchtend können, wo wir Leben anderer bedenkenlos stalken können, wo wir unser eigenes Leben so hindrehen können, wie wir wollen und wie es den anderen am besten gefällt. Eine Welt ohne Likes, Stories oder Snaps, ohne TikToks oder Memes.

Man würde uns den Sinn unserer kleinen, bedeutungslosen Leben nehmen und wir würden jämmerlich leiden. Plötzlich verschwindet so vieles, unsere Sprache (unser „Neusprech“) in Form von Emojis und sinnlosen Abkürzungen, unsere Selbstdarstellungsplattform, unsere Beschäftigung. Dystopisch, aber wahr. Wir wären plötzlich „Seelenlose“, die in einer analogen Welt klarkommen müssten, die sie noch nie gesehen haben.

Erkennt ihr, wie wir Anhänger einer Religion geworden sind, ohne es zu merken? Wird euch bewusst, wie die Götter dieser Glaubensrichtung, Unternehmen wie Facebook, Google etc., uns manipulieren und steuern können, mithilfe ihrer Apostel und Priester, wie zum Beispiel der Influencers und Stars mit ihren millionenfach abonnierten perfekten Accounts?

Social Media wurde in den letzten Jahren zu einem Leitfaden einer ganzen Generation, tagtäglich leben wir nach ihren Grundsätzen. Genau wie die mittelalterlichen Christen sind wir abhängig von dieser Religion und vergessen dabei, wie sehr Facebook und Co. Macht auf uns ausüben und uns ausnutzen. Ein rein kapitalistisch überzeugtes System, dass nicht etwa Wert auf uns, die Konsumenten, legt, sondern einzig und allein den Weg sucht, der für sie und ihre Geldgier am profitabelsten ist.

Gefangen in der Weltreligion unseres Jahrhunderts. Kommen wir da jemals wieder raus oder sind wir mittendrin in einem nie endenden Teufelskreis?

Und wen brauchen wir jetzt? Die Atheisten, das Gegenstück zu den Gläubigen dieser neuen polytheistischen Religion, die uns zeigen, was hier falsch läuft. Marx und Freud des Social Media – Zeitalters, die Kritik üben und uns damit eine Lösung geben könnten. Wir brauchen jemanden, der unser Bewusstsein weckt, denn schon George Orwell schrieb:

Solange ihr Bewusstsein nicht erwacht, werden sie niemals rebellieren, und solange sie nicht rebelliert haben, wird ihr Bewusstsein nicht erwachen können.“

Jemand muss uns hinter den samtigen Vorhang, auf die Bühne der Erkenntnis, führen, dahinter finden wir den Ausweg. 

Denn im davorliegenden Theatersaal, in dem wir alle zusammengequetscht, mit unseren Smartphones in den Händen, hocken, riecht es schon viel zu lange nach Opium.

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