bin ich zwar nicht im Garten von Emilias Großmutter, aber ich bin in England, im Augill Castle. Das ist ein wunderschönes Hotel mitten im Lake District, quasi im "Beatrice Potter Land".

Eine Regengeschichte (Teil 2)

Wie versprochen folgt heute die Fortsetzung der Regengeschichte, geschrieben von meiner Mama. Wer also den ersten Teil (gestern gepostet) bis jetzt noch nicht gelesen hat und Geschichten nicht gern in der Mitte anfängt, sollte daher hier den gestrigen Post zuerst lesen. Viel Spaß!

Ich, vor dem Augill Castle
Das ist natürlich nicht Emilia im Garten ihrer Großmutter, sondern das bin ich in England vor dem Augill Castle!

Hinter dem Vorhang lag der Rosengarten von Grossmutter Ayela. Emilia erkannte ihn sofort.
Wenn man den Pfad an den Rosenstöcken entlangging kam man zum Haus der Grossmutter Ayela. Kann das wahr sein? Emilia zweifelte an ihrem Verstand, aber die Neugier siegte und sie ging den kleinen Weg entlang.

Schon von weitem erkannte sie die Rosenveranda und dahinter das wunderschöne Haus von ihrer Grossmutter. Aber das Haus hatte ein andere Farbe und auch die Rosen sahen irgendwie verändert aus.

Inzwischen machte sich Emilia gar keine Gedanken mehr, ob dies alles wahr sein konnte, sie wollte nur so schnell es geht ins Haus rennen und ihre geliebte Grossmutter finden, damit sie ihr von dieser wundersamen Geschichte berichten konnte.

Doch das Haus schien irgendwie menschenleer. Von ihrer Grossmutter fehlte jegliche Spur. Nicht einmal ein Mantel oder dergleichen sah sie herum liegen.
Bei ihrer Grossmutter war eigentlich immer etwas nicht weg sortiert. Das hier war irgendwie ungewöhnlich, aber heute war ja eigentlich alles ungewöhnlich. So machte sich Emilia gar keine weiteren Gedanken und setzte sich einfach auf die Treppe vor der Veranda, um abzuwarten was geschah.

Plötzlich hörte sie ein Geräusch vom Weg vor dem Haus. Als sie dorthin sah erblickte sie eine vornehme Pferdekutsche, wie man sie nur noch in Museen findet.
Aus dem Haus kam eine junge Frau in einer hellen Schürze.
Also war doch jemand im Haus gewesen, hatte aber nicht geantwortet, als Emilia nach ihrer Grossmutter rief.

Die junge Frau mit merkwürdiger Frisur öffnete die Tür der Kutsche und es kletterte etwas unbeholfen ein kleines Mädchen im rosa Rüschenkleid heraus. Das kleine Mädchen lächelte die Frau an und rannte an Emilia vorbei in den Garten.
Hatte sie sie nicht gesehen? Jetzt kam auch die Schürzenfrau auf Emilia zu, aber würdigte sie keines Blickes. Sie ging einfach an Emilia vorbei. Nun wurde die Sache immer merkwürdiger. Wer waren diese Leute in Grossmutters Haus?

„Florinde würden sie sich bitte um das Abendessen kümmern!“, vernahm Emilia eine etwas gekünstelt wirkende Stimme. Am Fenster, das zu Grossmutters Schlafräumen gehörte, stand eine Frau in einem wunderschönem Kleid mit kunstvoller Frisur und glitzerndem Schmuckhaareif.
Emilia kannte die Frau, aber sie wusste nicht woher.
Sie stellte sich unter das Fenster und rief der Frau entgegen: „Entschuldigung, mein Name ist Emilia Stein und ich bin auf der Suche nach meiner Grossmutter Ayela. Sie wohnt in diesem Haus.“

Die Frau nahm keine Notiz von ihr und ging in das Zimmer zurück.
Vom Garten her vernahm Emilia lautes Kinderlachen und Gesang. Als sie näher kam erkannte sie den Gesang sofort. Es war das gleiche Lied, was ihre Grossmutter Ayela ihr immer vorgesungen und was sie selbst im Tunnel gesungen hatte. Ja, es war der Gesang, der wie ihr eigenes Echo klang, aber kein Echo war.

Was hatte Grossmutter Ayela damals erzählt, als sie ihr dies Lied beibrachte? Es war eine alte englische Volksweise und ihr Kindermädchen Florinde hat es ihr immer vorgesungen.

Florinde? Hatte die Frau am Fenster nicht „Florinde“ gerufen?
Das kann doch nicht war sein, oder? Was passiert denn hier?

Emilias Gedanken überschlugen sich. Um sie herum drehte sich alles und sie hatte das Gefühl ohnmächtig zu werden. Aber dann sammelte sie ihren ganzen Mut zusammen und ging in Richtung Garten.

‚Wenn die Frau tatsächlich Florinde, das Kindermädchen ihrer Grossmutter war, musste das kleine Mädchen ja Grossmutter Ayela sein.‘
Emilia war in ihrem ganzen Leben noch nie so aufgeregt. Das letzte Stück des Weges rannte sie so schnell sie nur konnte.

Dort angekommen stand sie direkt vor dem kleinen Mädchen und sie erkannte das verschmitzte Blinzeln sofort. Das kleine Mädchen sah Grossmutter Ayela so sehr ähnlich, es gab keinen Zweifel. Dies war ihre geliebte Grossmutter Ayela, nur viele, viele Jahre früher … als Kind!
Wie war dies alles nur möglich, war es ein Traum?
Sie hatte auch noch nie von so einer Geschichte gehört, ausser in ihren Büchern… Ja, jetzt dämmerte es ihr. War sie in einen Zeittunnel geraten? War der einsame Tunnel nichts anderes als ein Zeitloch. So wie in den vielen Fantasybüchern, die sie gelesen hatte und irgendwie immer nicht richtig verstand, wie so ein Ding funktionieren sollte.

Während sie so nachdachte hatte Emilia nicht bemerkt, dass sie inzwischen ganz allein im Garten saß.
Das kleine Mädchen -also Grossmutter Ayela- und das Kindermädchen Florinde waren fort und es herrschte totale Stille.

Die elegante Frau am Fenster hatte etwas von Abendessen gesagt, wahrscheinlich saßen jetzt alle am grossen Tisch im Salon. Emilia könnte die Gelegenheit nutzen und sich mit ihnen unterhalten, jetzt würden sie sicher zuhören.
Als sie am Eingang des Hauses angekommen war, zögerte Emilia etwas. Was würde sie sagen, wie sollte sie erklären wer sie ist?
Grossmutter Ayela war höchstens 5 Jahre alt, sie konnte sie gar nicht kennen. Emilia kam ja aus der Zukunft. Was ist, wenn sie Emilia nicht glauben und denken würden, sie führt etwas im Schilde oder ist eine gefährliche Verrückte?
Jetzt wünschte sich Emilia sie hätte mehr über diese Zeitloch-Theorien gelesen, dann wüsste sie was zu tun wäre.

Als Emilia langsam die Eingangshalle betrat, hielt sie etwas am Ärmel fest. Emilia drehte sich um, aber es war niemand zu sehen. Sie ging weiter Richtung Salon, von wo Tellergeklapper und Getuschel zu hören waren.
Florinde und Ayela deckten kichernd den Tisch.
Auf der Treppe hörte Emilia jetzt schnelle feste Schritte. Das musste Urgrossvater Albert sein. Grossmutter Ayela hatte immer von seinem unverkennbaren Schritt gesprochen.
Emilias Herz klopfte, gleich würde sie ihren Urgrossvater sehen, ihn richtig kennenlernen – nicht nur auf einem Bild, sondern ganz wirklich.

Jetzt kam ein grosser gutaussehender Mann im grauen Anzug zur Tür herrein. „Papa, Papa weißt du was Florinde mir heut geschenkt hat? Sie hat mir eine Kette mit einem wunderschönem Anhänger gegeben. Die Kette ist ganz alt und ich darf sie für immer behalten.“ Die kleine Ayela reichte ihrem Vater eine Kette mit einem Medaillonanhänger.

‚Aber das ist doch meine Kette von Grossmutter!‘, dachte Emilia sofort und fasste an ihren Hals, ob das Medaillon noch da war. Sie hatte es immer noch um.

Im Salon nahm der Mann -also Emilias Urgrossvater- die Kleine auf den Arm und wollte wissen ob sich Ayela auch richtig bei Florinde bedankt hat für ein so wertvolles Geschenk. „Ja“, sagte die kleine Ayela und „weißt du was, Papa? Das Medaillon hat Zauberkräfte. Es wird auf mich aufpassen, damit mir nichts passiert und wenn ich alt bin werde ich es meinem Enkelkind schenken.“

„Das ist eine sehr schöne Idee, Ayela. Aber jetzt werden wir zu Abend speisen. Deine Mama und ich werden zum Ball erwartet. Wo ist meine Gattin, Florinde?“
„Lady Agatha wird sofort hier sein! Sie ist auf ihrem Zimmer und richtet sich bereits für den Ball her. Sie lässt fragen, ob sie heute das gelbe Seidenkleid tragen soll.“

Aber im gleichen Moment betrat eine wunderschöne Frau den Salon und Emilia erkannte auch das Kleid sofort. Ja, Grossmutter Ayela hatte Recht, wenn sie behauptete, dass Urgrossmutter Agatha unbeschreiblich schön war.
Sie trug das gelbe Seidenkleid, welches Emilia schon so oft in den Händen gehalten hatte und es strahlte noch mehr als in ihrer Erinnerung.

„Ah, du hast mein Lieblingskleid bereits an. Du wusstest, dass ich mir gewünscht habe, dass du es heute trägst. Du bist wirklich ein Engel und unser kleiner Engel hat heute ein sehr kostbares Geschenk bekommen. Weißt du davon, Agatha?“ Albert blickte seine Frau glücklich an.

Das erinnerte Emilia ganz plötzlich an ihr zu Hause und sie hatte auf einmal grosse Sehnsucht nach ihrer Mutter und ihrem Vater. Sie fühlte sich hier fremd und einsam.
Dieses Haus, in dem sich Emilia sonst glücklich gefühlt hatte, war jetzt unheimlich und fremd. Niemand nahm sie in die Arme oder redete mit ihr. Es war so, als ob die anderen sie gar nicht sehen konnten.
Aber wenn sie Emilia nicht sahen, konnte sie sich auch ganz ungestört im Haus umsehen.

‚Die sind hier noch etwas beschäftigt!‘, dachte sie als sie die Familie beim Essen sah, ‚Da werde ich mich in Ruhe umsehen. Aber das Essen sieht ja gut aus.’ In diesem Moment bemerkte Emilia, dass sie ja schon seit Stunden nichts mehr gegessen hatte. ‚Ob sie wohl merken, wenn ich mir einfach ein Stück vom Braten nehme.‘
Gedacht, getan. Emilia rannte mit einem Stück vom Braten die Treppe zu Grossmutters heutigem Schlafzimmer herauf.

„Na, schmeckt es Dir?“, hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich. Emilia erschrak. Hatte man sie doch gesehen oder drehte sie jetzt endgültig durch? Weit und breit war niemand zu sehen, sie musste es sich eingebildet haben. Also ging sie weiter nach oben und überlegte noch wem wohl früher das Schlafzimmer von Grossmutter Ayela gehörte.
Doch schon an der Tür war Emilia klar, dass dieses Zimmer wohl schon immer Grossmutter Ayela gehörte.
Überall lag Spielzeug herum und in der Zimmerecke stand der grosse alte Schrank, in dem die Grossmutter die alten Kleider aufbewahrte.

‚Also hier hat die Grossmutter auch schon als Kind geschlafen‘, dachte sich Emilia und wollte den Schrank öffnen.
Doch da hörte sie plötzlich ein Geräusch. Schnell versteckte sie sich unter dem Bett. Doch hier unten ihr fiel wieder ein, dass sie sowieso keiner sehen konnte. Sie kroch wieder hervor, um zum Schrank zu gehen.

Sie öffnete die knartschende Tür und erblickte eine Menge Zeug, bunte Bälle, farbige Puppenkleider und zahlreichen Bücher lagen hier durcheinander.
‚Was für ein Chaos!‘ dachte sich Emilia. ‚Grossmutter Ayela war also schon immer eine grosse Sammlerin – naja und auch schon als kleines Mädchen war sie offensichtlich nicht besonders ordentlich.‘
Emilia musste schmunzeln und gleichzeitig wurde sie traurig und machte sich wieder Sorgen um ihre geliebte Grossmutter und dass sie sich so lange nicht gemeldet hatte. Was hatte das alles zu bedeuten?

Während Emilia so gedankenversunken da saß, hatte sie gar nicht bemerkt, dass neben ihr die kleine Ayela stand und in den Schrank sah.
Sie wirkte erstaunt. Doch dann rannte sie plötzlich wie angestochen aus dem Zimmer.
Hatte sie sie jetzt gesehen und hatte Angst?

Emilia hörte von unten leises Weinen. „Du brauchst doch keine Angst zu haben. Ich erzähle dir gleich eine Gute Nacht Geschichte und wenn du morgen früh aufwachst sind Mama und Papa wieder bei Dir.“
Das musste Florinde sein, die die kleine Ayela tröstete.
Als Emilia klein war, hatte sie auch immer Angst, wenn ihre Eltern abends ausgingen und sie beim Kindermädchen bleiben sollte. Das war wohl ganz normal bei kleinen Kindern und hatte nichts zu bedeuten.

Aber als sie sich daran erinnerte, musste sie unwillkürlich an ihre Eltern denken und dass sie sich sicher schon Sorgen machten. Hätte sie nur ihr Handy mitgenommen, dann könnte sie sie jetzt zu Hause anrufen. Oder würde das Telefon hier gar nicht funktionieren?

Die Urgrosseltern, also Agatha und Albert waren offensichtlich bereits gegangen und nun waren nur noch Florinde, Ayela und sie da.
‚Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit mit ihnen zu reden, ich muss mich aber erstmal weiter umschauen‘, dachte sich Emilia und ging aus dem Spielzimmer direkt in das Zimmer gegenüber, was offensichtlich das Arbeitszimmer von Urgrossvater Albert war. In der Mitte des Raumes stand ein grosser dunkler Schreibtisch auf dem eine Menge Akten lagen.
Was hatte Ayela gesagt? Ach, ja richtig, ihr Vater war Rechtsanwalt in Southport und hatte eine eigene Kanzlei.

Ob sie mal in den Akten blättern sollte, vielleicht findet sie Hinweise. ‚Hinweise? Ja, was für Hinweise denn, der Urgrossvater war Rechtsanwalt und kein Zauberer.‘

„Sei ein bisschen positiver!“, hörte Emilia die Stimme. „Sonst kannst du uns auch nicht helfen!“
„Helfen? Was soll ich denn tun? Und wer bist Du?“, schrie Emilia jetzt ins Nichts.
„Sei still, sonst werden sie dich hören!“, zischte es ganz dicht an Emilias Ohr vorbei.
„Sag mir jetzt wer du bist und warum mich keiner hören darf! Was ist hier eigentlich los?“, bettelte Emilia in die Richtung aus der die geheimnisvolle Stimme gekommen war.

Doch es war wieder ganz ruhig, nur Florinde war zu hören, die der kleinen Ayela im Salon eine Geschichte vorlas.

Inzwischen war es auch bereits dunkel geworden und Emilia merkte, dass auch sie langsam etwas erschöpft war. Doch ausruhen konnte sie sich nicht. Sie musste dieses Rätsel hier lösen und herausfinden, auf welcher seltsamen Reise sie sich befand.

Emilia ging vorsichtig die grosse Treppe hinab, langsam hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt.

Plötzlich hörte sie lautes Geschrei und Gepolter an der Haustür. Sie erkannte Florindas Stimme, die jetzt sehr aufgeregt klang. Dann knallte die grosse schwere Haustür zu.

Emilia rannte zum grossen Fenster im Hausflur. Nur schwer konnte sie etwas erkennen, doch dann sah sie es: Eine riesige schwarze Kutsche stand mit weit geöffneter Tür auf dem Weg am Haus. Emilia konnte nicht richtig sehen, aber es sah nach einer Art Streit aus. Es standen mehrere Leute vor dem Haus, die Emilia noch nie gesehen hatte.
Gerade als Emilia das Fenster öffnen wollte, sprangen die fremden Menschen in die Kutsche. Die Kutschentür wurde zu gerissen und dann fuhr das unheimliche Gefährt mit lautem Krachen davon.
Auf dem Weg blieb nur eine weinende Florinde zurück.

Emilia wurde ganz schwer ums Herz, sie wusste nicht was hier vor sich ging, aber sie merkte dass sich dramatische Dinge ereigneten. Dinge, die mit ihrer Grossmutter  zusammen hingen und so rief sie rief laut ihren Namen.
(Fortsetzung folgt!)

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